Freie Software für alle

Smartphone Nutzender

Neulich im Bekanntenkreis

Es gab ein neues Smartphone. Auspacken, bestaunen, die Ohrstöpsel verlosen (wer braucht so was eigentlich?) und dann einschalten. Nun beginnt der lange Weg durch den Wald des Betriebssystems, das dummerweise nicht frei ist.

Wenn Sie hier kein Häkchen setzen, werden Sie Ihr Gerät nicht benutzen können.

Nach 15 Minuten unterhalten wir uns darüber, dass es wahrscheinlich eine Abteilung gibt, die sich nur Formulierungen ausdenkt, die direkt ins Gewissen schießen. Das Smartphone kann immer noch nicht benutzt werden, weil wir es so nutzen wollen, wie wir wollen. Wir wollen nichts abgleichen und nichts überwachen lassen (damit wir vor anderen geschützt werden?).
Nach 30 Minuten sind wir beim Thema Ethik.

    1. Was wollen wir mit unseren Smartphones?
    1. Sind das wirklich nur Zeitfresser?
    1. Kalender kann man abgleichen und nie verlieren, weil man einen eigenen Server nutzt.
    1. Alles sind bei WhatsApp, aber wir wären gerne frei. Wir wollen unsere Kontakte nicht mit dem Betriebssystem teilen.
    1. Das Smartphone macht schöne Bilder.

2 Wochen später:
Das bewunderte Smartphone läuft mit freier Software. Es gibt jemanden, der helfen konnte. Es dauerte etwas und der Eigentümer des Smartphones kann selber nicht sagen, wie es im Einzelnen gelaufen ist. Optisch, sagt er, fühlt sich sein Gerät nun leichter an. Er nutzt eine Auswahl an Apps, die er aus dem F-Droid Store hat. Das hat uns alle sehr erstaunt, dass man jenseits von Apple und Google einen Store findet, in dem man alles bekommt, was man braucht.

Aber bist du dann nicht wieder abhängig?
Nur ohne Vertrag?

Es ist ein bisschen wie in den Anfängen des Personal Computers: Man fragte einen Bekannten und der war irgendwann das Maß aller Dinge (weil niemand wusste, was er tat, nur dass er das Ding immer wieder zum Laufen kriegte) und frei von Freizeit, denn man selber war ja nicht der Einzige, der immer wieder mit dem Kasten unter dem Arm bei ihm auftauchte.

Freie Software ist anders

Wenn es “freie Software” heißt, meinen immer noch viele Menschen, sie sei umsonst. Aber umsonst ist gar nichts. Auch freie Software wird entwickelt und gepflegt (oder auch nicht). Wenn ich als Endnutzerin freie Software nutzen möchte, kaufe ich, anders als bei den Marktmächten, nicht ein Paket mit Geld oder mit meinen Daten. Ich muss da ganz anders dran gehen. Es beginnt mit meinem Interesse an einer Funktion oder ich sehe eine App, die mir sinnvoll erscheint. Ich probiere sie aus. Wie funktioniert sie? Was sagen andere darüber? Was gibt es in dem Bereich noch so? Dann kommt der Zeit-Punkt, an dem ich dem Entwickler-Team was spende. Möglicherweise stammt die App aus dem universitären Bereich oder ist das Nebenprodukt einer Firma, die auf andere Weise genug Geld verdient. Dann lass ich es mit dem Spenden.
Ein wirklich wichtiger Aspekt bei freier Software ist für uns Endnutzer die Vernetzung. Weil viele Menschen den Code im Auge haben, fühle ich mich sicher. Sie sehen, ob alles funktioniert, und reagieren auf Fehler. Es gibt Diskussionen, die öffentlich sind. Die Attraktivität gut funkionierender Programme ergibt sich nicht in erster Linie aus einem geschickten Marketing-Konzept, sondern aus Überzeugung.
Es gibt öffentliche Veranstaltungen, die von Menschen unterschiedlicher Milieus besucht werden, weil sie alle an freier Software interessiert sind. Man spricht nicht die gleiche Sprache, aber man nähert sich interessiert an. Das Anliegen hat uns zusammengeführt. Wir wollen einander verstehen und wissen doch, dass der eine niemals eine Hilfe beim Programmieren sein wird und der andere nicht erklären kann, was er macht. Wenn wir aufhören miteinander zu reden, liegt das eher an Hunger und Durst denn an fehlendem Respekt. Freie Software ist wie Heavy Metal und wie Free Climbing und natürlich auch wie Christsein.
Dieses “freie Software” hat viel mit Mitbestimmung, Freiheit und Verantwortung zu tun. Es macht jenseits von Konsum Teilhabe möglich. Auch in unserem Verein ist es so, dass nach der Wahl des Vorstandes, dieser nicht einfach alle Arbeit am Hals hat. Wir sind eine Gemeinschaft, in der alle Mitglieder und manche Sympathisanten ihren Beitrag zum Großen und Ganzen leisten. Jeder gibt, was er hat. Jeder bekommt, was er braucht. Und über Konflikte breiten wir nicht das Tuch des Verschweigens. So ist freie Software: Wir werden immer besser und manchmal auch ganz anders, wenn die Zeit dazu gekommen ist.

  • Was, wenn es Streit gibt?
  • Was, wenn wir zur Verantwortung gezogen werden?
  • Was, wenn jemand austritt?

Wir sind nicht im Paradies. Noch nicht. Wir nutzen freie Software, weil der Code für alle öffentlich ist und prinzipiell von jedem Menschen genutzt werden kann. Das bedeutet auch, dass Nutzbarkeit geschaffen werden muss. Sicher gibt es Streit. Wir sehen, dass wir verschiedene Entscheidungen treffen können. Die Beweggründe liegen offen. Das macht den Unterschied. Wir machen kein Geheimnis aus den Vorgängen, die zu einer Entscheidung führen. Sicher machen wir Fehler. Nicht alles läuft glatt. Wir versprechen niemandem, was wir nicht halten können. Und trotzdem verspricht sich mancher etwas von uns, was wir nicht geben können. Im besten Fall lernen wir daraus. Alle. Wenn jemand austritt, ist das ein Verlust, aber auch ein respektable Entscheidung.

Freie Software für alle – das bedeutet nicht, dass alles umsonst ist, sondern dass wir ein WIR bilden, das in Verbindung zueinander steht. Das vergessen wir nicht. Wir nutzen das, was andere geschaffen haben, aber nutzen niemanden aus. Wir werden immer besser und wollen davon nicht nur profitieren, sondern auch dazu beitragen.

Das zweite Beispiel

Ein Kollege fragt, wo es den Shop für Linux-Apps gibt. Ich stutze. Er erklärt, er wolle seine Tageszeitung auf dem Laptop lesen. Auf dem Tablet ginge es ja dank Google-Store. Aber was ist mit Ubuntu?

Pendler lesen im Zug. Zeitungen lassen sich da wunderbar konsumieren. Unsere Stadtbücherei bietet Zeitungen und Zeitschriften an. Es ist wunderbar. Aber es klappt mit Linux nur auf Umwegen oder gar nicht. Ich zeige dem Kollegen die Anzeige in der Zeitung: Das E-Paper gibt es über den Appstore von Apple oder über den Google Playstore. Ein Logo von F-Droid ist da nicht zu sehen. Wir sprechen über F-Droid. Wir sprechen über Lizenzen. Wir kommen zu dem Schluss, dass hier Welten aufeinander treffen.

Meinen Kollegen geht es nicht viel anders als mir. Wir werden immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass es jenseits des Kapitalismus Wege gibt und das es auch unsere Entscheidung ist, ob sich da was entwickelt. Aber wir scheitern beide immer wieder in unserem ganz normalen Alltag. Die Sache mit der freien Software durchdenken wir von allen Seiten. Aber wir sind keine Entwickler. Wir sind nur die, die die Technik verantwortlich nutzen wollen. Dabei tappen wir immer wieder in die Konsumenten-Falle. Mir geht es schon etwas besser als ihm, denn ich kenne eine Menge LINUX-Freaks. Im Laufe der Jahre habe ich eine zweite Welt in der Konsumgesellschaft entdeckt und für mich zu nutzen begonnen. Man kommt an alles dran. Das Internet bietet alle Informationen. Ich kann Menschen erreichen. Die Informationswege laufen schnell, aber die Menschen in ihnen sind immer noch Menschen. Diese Menschlichkeit im System (Arbeitsplatz, Industrie, Medizin, …) ist ein Aspekt, der in unserem Verein eine große Rolle spielt. Es wäre sinnlos, wenn wir freie Software anstelle proprietärer Software nutzen, uns aber genau so behacken würden wie die im Konsumterror verfangenen.

Mein Kollege möchte jetzt eine Lösung. Ich merke dankbar, dass die LUKis mir schon einiges beigebracht haben: Freundlichkeit, Ruhe, Geduld, und auch Ernsthaftigkeit, aufrichtiges Zuhören und Interesse an meinen Ideen und Fragen. Mein Kollege ist schon wieder mit anderen Problemen beschäftigt. Es braucht Zeit. Ideen brauchen Zeit und unüberzeugende Vertretungen.

Linkliste

https://sailfishos.org/
https://f-droid.org/
https://secuso.aifb.kit.edu/
https://wiki.induux.de/Barcamp
https://itsfoss.com/
http://blog.do-foss.de/
https://fsfe.org/

https://www.kirche-im-wdr.de/de/nc/startseite/makepdf/programuid/tohuwabohu/

Ethik der freien Software

Dieser Artikel könnte der Beginn einer Reihe über Ethik der freien Software werden, wenn viele Menschen ihre Sicht der freien Software formulieren. Denn was freie Software wirklich ist, kann ich nicht letztgültig sagen. Ich würde zum Beispiel gerne mal etwas aus der Sicht eines Unternehmers lesen, der richtig Geld mit freier Software verdient, obwohl es die umsonst gibt. Und ich würde gerne einen Artikel von einem Verantwortlichen für IT in einem kirchlichen Unternehmen lesen.

Dorothee Janssen

Dorothee Janssen, Gemeindereferentin im Bistum Essen. Mit folgenden Themen lass ich mich ködern: Finnland, Garten, Jazz, Museum, Musik, Science Fiction. Beruflich im Büro für Inklusion & Teilhabe. Privat zu lesen auf 793 km Rhein

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2 Kommentare zu “Freie Software für alle

  1. Hi Dorothee, ich habe Deinen schönen Artikel nach dem Veröffentlichen gelesen und jetzt wieder – und mich gefragt, welchen Gedanken Du nachträglich eingebaut hast, für den Dir die Worte bislang fehlten.
    Ich komm nicht drauf.

  2. moi Uli,
    der Abschnitt “Das Zweite Beispiel” ist neu. Witzig, dass das nicht auffällt. Es ist ja auch dasselbe nur anders beleuchtet.
    Übrigens wird die Linkliste auch ergänzt.

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