Seit rund 10 Jahren grüßt mich der freundliche Pinguin nun schon täglich, wenn ich den Computer hochfahre. Zuerst im privaten Umfeld als vorsichtiger Versuch. Später dann auch beruflich, bis dahin, dass ich es schließlich wagte, den ersten Arbeits-Laptop ohne Windows zu kaufen. Inzwischen bin ich nebenbei zum Server-Admin für meine Organisation geworden. Aber weiß ich deshalb viel über Linux?
Diese Frage trieb mich um als mir recht zufällig ein Buch zur Vorbereitung auf die beiden Prüfungen zum Level 1 Zertifikat des Linux Professional Institute in die Hände fiel. Ich beschloss einen Selbstversuch: Vier Wochen würde ich anhand des Buches so intensiv lernen wie es nebenbei möglich ist. Dann würde ich mich auf einem OpenSource-Event in Hamburg den beiden Prüfungen stellen.
Zuerst dachte ich über ein professionelles Training nach. Diesen Gedanken ließ ich allerdings schnell fallen, nachdem ich feststellen musste, dass dies mein Budget sprengt. Nach meinen Erkundigungen zahlt man für die Vorbereitung auf beide Teilprüfungen rund 1500 €. Nach meinen Planungen würde ich – neben der Investition in das Buch – nur die Prüfungsgebühr bezahlen, zusammen genommen 160 €.
Mut zur Lücke
Das Lernen anhand des Buches machte Spaß, da ich auf diesem Wege vieles erfuhr, das mir bis dahin bei der alltäglichen Nutzung und Wartung eines Linux-Systems noch nicht klar geworden war. Allerdings nervte die Bandbreite der geforderten Lernziele, die mit einem Gehirn gemeinhin nicht zu speichern ist. Jedem diskutierten Befehl folgt am Ende des Abschnittes der Verweis auf die zugehörigen MAN-Seiten und eine Liste weiterführender Internet-Literatur, die man sich ja auch noch angucken könnte. Würde man diesen Rat befolgen, müsste man wohl sein halbes Leben lernen. So bleibt nur eines: Mut zur Lücke!
Die wichtigsten Optionen der geforderten Programme und Befehle sollten schon gelernt werden. Darüber hinaus gibt es reichlich Futter fürs Kurzzeit-Gedächtnis: Aufbau von Konfigurationsdateien, Pfade, Ports, Signale, Variablen, Syntax – auch hier muss man sich bewusst eine Grenze setzen. Ein Offizieller sagte mir vor der Prüfung, dass ja nur Dinge gefragt seien, die einem versierten Nutzer sowieso tagtäglich abverlangt würden. Das halte ich für eine mutige Behauptung! Allein die Tatsache, dass das deb- und das rpm-basierte Paketmanagement zu lernen sind, lässt die Aussage zweifelhaft erscheinen. Auch habe ich beispielsweise einen Befehl “chage” vor der Prüfung noch nie vermisst und den vi habe ich vorher nie gebraucht. Bei aller Kritik – ich bereue nichts und bin dankbar für jede Wissenslücke, die so gestopft werden konnte.
Veraltete Prüfungssimulationen
Nach einer ersten Zeit des Lernens wünschte ich mir, meinen Wissensstand einmal testen zu können. Bei meiner Suche im Internet nach einer Prüfungssimulation wurde ich zweifach fündig. Es existiert ein GTK-Programm namens lpisim, das mit vielen wählbaren Optionen eine Prüfungsumgebung schafft. Neben einer Internetseite, die als Grundlage genau dieses Programm verwendet, fand ich eine weitere Seite mit einer lediglich englischsprachigen Prüfungs-Simulation, die aus einem gänzlich anderem Fragen-Fundus schöpft. Beide Lösungen taugen als Vorbereitung auf die Prüfungen nur bedingt, da die Fragen völlig veraltet sind. Hier wird beispielsweise noch Wissen über serielle Modems vorausgesetzt, das in der Prüfungspraxis keine Rolle mehr spielt. Ein Teil der Fragen ist jedoch noch aktuell und dieser Teil lässt sich zumindest bei lpisim eingrenzen. Auch bekam ich durch die Übungen ein Gefühl für den Ablauf der Prüfung. Bei keinen der genannten Möglichkeiten ist eine originale Prüfungsfrage zu finden, sondern nur nachempfundene.
Rückblickend finde ich es bemerkenswert, dass es bei einem Zertifikat eines OpenSource-Systems keine erschwingliche Möglichkeit des Trainings gibt. Hier scheint der Ruf des Geldes dann doch reizvoller zu sein als der hinter OpenSource zu vermutende Ansatz, allen Menschen ein vernünftiges Werkzeug an die Hand zu geben.
Der Bleistift vom LPI
So ging ich also gut belesen aber insgesamt ziemlich im Ungewissen in die beiden Prüfungen. Diese unterscheiden sich durch die vorgegebenen Lernziele, nicht aber durch Umfang oder Schwierigkeit. Die Papierform der LPI-Prüfung wird ausschließlich auf Events angeboten, bedarf der Voranmeldung und ist dafür von sonst 120 € auf 80 € reduziert. Dafür wartet man rund vier Wochen auf einen Bescheid, da die Bögen nach Kannada geschickt und dort ausgewertet werden. Dies wiederum hängt mit der großen – fast ein wenig paranoiden – Sorgfalt zusammen, mit der die Geheimhaltung der Fragen gehandhabt wird. Ich musste vor jeder Prüfung unterschreiben, dass ich über keine Frage jemals mit irgendwem sprechen werde, auch mit den Mitprüflingen im Austausch nach der Prüfung nicht. Das Einzige, das einem von der Prüfung bleiben soll, ist der Bleistift vom LPI – einzig akzeptiertes Werkzeug der Prüfung – den ich mitnehmen durfte.
Die Antwortbögen sind gewöhnungsbedürftig. Man malt Zahlenkreise aus, um eine Option als ausgewählt zu markieren. Bei den meisten Fragen ist eine von vielen möglichen Antworten richtig. Manchmal sind mehrere Antworten gefragt. Öfters muss auch ein Wort handschriftlich als Lösung notiert werden. Insgesamt umfasst die Prüfung 60 Fragen. Man bekommt dazu 90 Minuten Zeit, was mehr als ausreichend ist. Wer schwach bei Blase ist, sollte sich vorher ausgiebig entleeren, denn es ist nicht erlaubt, während der Prüfung den Raum zu verlassen. Verglichen mit diesen Prüfungsbedingungen kommt mir mein Abitur eher wie die theoretische Prüfung beim örtlichen Angelverein vor. Da darf wenigstens die Federmappe auf dem Tisch liegen.
Bescheid per Mail: Bestanden!
Der Schwierigkeitsgrad variiert stark. Die Mehrheit der Fragen sind mit entsprechendem Wissen gut zu beantworten. Bei manchen Fragen ist nicht ganz klar, wie die Frage gemeint ist, was ich als besonders ärgerlich empfunden habe, da Nachfragen nicht beantwortet werden. Einige Fragen sind so schwer, dass man sie in der Regeln wohl eher nicht richtig beantwortet. Insgesamt fand ich beide Prüfungen – gemessen an den formulierten Zielen – fair. Man sollte immer bedenken, dass es nicht darum geht, alles richtig zu beantworten. 500 von 800 Punkten reichen, um eine Prüfung zu bestehen. Das klingt nicht schwer, ist aber ohne explizit dafür gelernt zu haben, meines Erachtens nicht zu schaffen. Wie sich diese Punkte genau zusammensetzen, bleibt übrigens das Geheimnis des LPI.
Die vier Wochen währende Anspannung um die Frage, ob es gereicht hat, wich dann großer Erleichterung als der Bescheid schließlich per Mail kam. Der Auswertung konnte ich zumindest in Prozent entnehmen, in welchem Themenbereich ich wie gut abgeschnitten habe. Die anfängliche Frage “Weiß ich viel über Linux?” ist mit diesem Zertifikat nicht beantwortet. Ich kann allerdings mit gutem Gewissen behaupten, dass ich jetzt mehr über Linux weiß. Und es fördert den Ehrgeiz, was sicher kein Zufall ist. Ich wäre also bestimmt nicht der Erste, der vielleicht irgendwann mal den Level 2 probiert.
Beitragsbild: jim212jim, flickr.com, lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 2.0 Generic Lizenz.
Klasse Artikel – Danke fürs Teilen!