Seit einigen Tagen ist die Katze aus dem Sack: Das Auswärtige Amt (AA), einst Aushängeschild und Vorreiter der Nutzung Freier Software in der Bundesverwaltung, setzt den Pinguin vor die Tür. Dies kam Ende letzter Woche nach einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung der SPD-Bundestagsfraktion unter Federführung des Abgeordneten Oliver Kaczmarek heraus. In dieser Anfrage wurde nachgefragt, ob die IT-Strategie des Außenministeriums weitergeführt wird, nachdem die rot-grüne Bundesregierung vor knapp zehn Jahren die Computer komplett auf freie Software umgestellt hatte. Heise Online notierte dazu im Jahr 2007:
“Das Auswärtige Amt konnte mit einer konsequenten Open-Source-Ausrichtung seine Ausgaben für Informationstechnik in den vergangenen fünf Jahren deutlich reduzieren. […] Seit der Umpositionierung ist das Auswärtige Amt Schuster zufolge „das mit Abstand günstigste Ministerium im Bund bei den IT-Kosten“.
Glaubt man ins Spiel gebrachten Zahlen, so hat das AA seine Kosten für Software auf fast ein Zehntel gegenüber lizenzkostenlastiger proprietärer Software zurückfahren können. Auch das Außenamt selbst freut sich auf seiner Homepage darüber, die niedrigsten IT Kosten pro Arbeitsplatz aller Bundesministerien zu haben:
“Die Ergebnisse der Arbeit mit Open-Source-Produkten sind erfreulich: Heute gibt das Auswärtige Amt pro Mitarbeiter weniger als ein Drittel der durchschnittlichen pro-Beschäftigten-Ausgaben für IT-Ausstattung aller Bundesministerien aus. Dies wird erreicht, obwohl 80 Prozent der Computer im Ausland stehen und unter oftmals schwierigen klimatischen Bedingungen schneller verschleißen als in Mitteleuropa.”
Pikanterweise hat jüngst eine vom AA selbst beauftragte Studie durch McKinsey dem Außenamt bescheinigt, dass eine Rolle Rückwärts in Sachen IT aus mehreren Gründen völliger Blödsinn ist:
“– 180-Grad-Kehrtwende für IT des AA: hohe Change-Aufwände, Risiko von Know-How-Verlust, herausfordernde Kommunikation (intern und extern)
– Vorreiterrolle und Alleinstellungsmerkmal fällt weg; der “Optionswert” von Linux auf dem Desktop für das AA und gesamten Bund geht verloren
– Mittelfristig signifikante Lizenz- und Migrationskosten” (2. Studie für das AA vom 19. März 2010)
Dass das Westerwelle-Ministerium trotz all dem den Pinguin ins Exil abschiebt, um stattdessen in einem ersten (unverständlichen) Schritt veraltete Windows XP-Lizenzen einzusetzen und dann in einem zweiten auf Windows 7 zu migrieren (was kostet das?), verwundert stark und lässt Spielraum für Spekulationen, inwiefern Microsoft-Lobbyisten das AA “umgedreht” haben könnten. Tatsache ist: Millionen Steuergelder werden wider besseres Wissen unnötig verschleudert und in Sachen Sicherheit – Stichwort: Stuxnet – ist die angestrebte Lösung nicht nur ein Schritt zurück, sondern der Anfang vom Ende Freier Software in der Bundesverwaltung überhaupt.
Für mich zeigt der ganze Vorfall, dass
- der Einsatz Freier Software vor allem an fehlendem (politischen) Willen scheitert und dass
- es nicht reicht, Feldversuche in Sachen Freier Software (Linux) in der Verwaltung zu begrüßen und zu beklatschen, sondern dass
- es dafür eine aktive Lobby geben sollte – die es aber leider immer noch nicht gibt.
Während andere Länder wie Russland, Frankreich, China, Brasilien usw. eine politisch gewollte und ganz klar definierte Freie-Software-Strategie haben und im Sinn von Unabhängigkeit und Sicherheit der Staatsstellen umsetzen, wirft die Bundesregierung eine bestehende und funktionierende (!) Musterlösung einfach über Bord.
Armes Deutschland!
Links zum Weiterlesen:
- http://www.netzpolitik.org/2011/interne-dokumente-des-auswartigen-amtes-zur-anderung-der-open-source-strategie/
- http://www.netzpolitik.org/2011/strategiewechsel-im-auswartigen-amt-100-mio-euro-fur-microsoft/
- http://www.oss.bund.de/node/138
- http://fsfe.org/news/2011/news-20110202-02.de.html
- http://www.3sat.de/page/?source=/neues/sendungen/magazin/113638/index.html
- http://www.linux-magazin.de/Heft-Abo/Ausgaben/2003/05/Tux-inside?category=0
- http://www.oliver-kaczmarek.de/2011/02/bundesregierung-zementiert-mit-software-umstellung-im-auswartigen-amt-monopolstellung-eines-anbieters/
- http://mail.fsfeurope.org/pipermail/press-release-de/2011q1/000182.html
Armes Deutschland! Und auch armes Wien. Aber so eindeutig ist die Lage erfreulicherweise doch nicht: Open Commons Region Linz.