Ich habe auf diesen Seiten schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass meiner Meinung nach Freie Software im Raum der Kirchen auf ein sehr spezielles Umfeld trifft. Wer in diesem Umfeld eine Migration auf Freie Software versucht, sollte also vor und während dieser Aufgabe kirchenspezifische Besonderheiten im Auge behalten und seine Strategie an diese Besonderheiten anpassen.
Die (großen) Kirchen sind ja nicht gerade als Hort der Experimentierfreude bekannt. Das gilt leider auch auf dem Gebiet Software und für die Software-Auswahl. So sind Ängstlichkeit und Mut gegenüber Veränderungen und Neuerungen im Kontext Kirche nicht nur personenbezogen zu sehen, sondern eher als Ausdruck bewahrender und verharrender Kirchenkultur, die eben auch auf den IT-Bereich durchschlägt. Das trifft auf Entscheider wie Nutzer gleichermaßen zu.
Benutzerakzeptanz fördern
Freie Software braucht für den Erfolg immer die Akzeptanz der Benutzer – interessanterweise sogar stärkere Akzeptanz als dies proprietäre Software braucht, die in den Augen der kirchlichen Nutzer oft unhinterfragt mit dem Nimbus der Professionalität daher kommt.
Die Akzeptanz für die neue bzw. auch andere Technik wird eher durch wahrgenommene Nützlichkeit oder neue Vorteile bestimmt – etwa durch vereinfachte Bedienbarkeit. “Ideelle” Gründe oder die Kostenfrage treten dahinter oftmals zurück und spielen so gut wie keine Rolle.
Gerade im Bereich der Kirchen gibt es leider oftmals fehlende Anwendungserfahrung – schon mit proprietärer Software, aber besonders auch mit Freier Software.
Dieses Manko kann sich leicht zu Ungunsten eines Umstellungsprojekts auswirken: es geistern schneller Gerüchte herum, die wiederum die Ängste bei den Nutzern nähren und die zuletzt zur mangelnden Akzeptanz der neuen, unbekannten Software beitragen. Und wo der Streit um die “richtige” IT sowieso gern als Vorwand für (interne) Machtkämpfe herhalten muss, gibt eine Migration leicht eine willkommene Zielscheibe für Unzufriedene ab.
Psychologie und Kommunikation
Ein solches Szenario gilt es zu vermeiden. Bei einem Umstieg im Bereich der Kirchen ist darum nicht nur eine technische Herausforderung zu meistern, sondern ebenso eine, die psychologischer und vor allem kommunikativer Natur ist. Darum funktioniert ein Umstieg nur mit einer aktiven Informationsstrategie. Diese kann z.B. beinhalten:
- detaillierte Infos über Beweggründe für die Migration
- Einbeziehen aller Nutzer: Einladung zum Mitwirken; wer die Migration nicht aktiv mitträgt, sollte wenigstens nicht dagegen arbeiten
- Fragen und Unsicherheiten ernst nehmen, d.h. dafür Zeit und auch gangbare Lösungen bereit haben
- Ehrlichkeit und Transparenz: Vor- und Nachteile benennen, Entscheidungswege, Pläne, Zeitrahmen offen legen
- Aufklärung: herum geisternden Mythen entgegenwirken (z.B. durch Demoinstallationen)
- die Freie Software für den Privatgebrauch verteilen und zum Testen einladen
Selbstverständlich muss den notwendigen begleitenden Schulungen und weiteren flankierenden Maßnahmen, etwa einer FAQ-Sammlung oder einem Wiki mit den häufigsten Fragen und Antworten u.ä., ein hohes Augenmerk gewidmet werden. Wenn die Mitarbeiter merken, dass hier nicht wirklich Mittel in die Hand genommen werden, dann hat die Migration schnell den Ruf des “billigen Jakob” weg.
Nutzereinbindung als Schlüssel
Ein Umstieg funktioniert nicht ohne Einbeziehung der zukünftigen Nutzer. Je mehr nur äußerer Druck (die “Verordnung” von “oben”) eine Rolle spielt, desto geringer wird die Akzeptanzbereitschaft ausfallen. Werden Mitarbeiter mit einbezogen, ist die Akzeptanz größer. Mitarbeiter während der Umstellung mit ein zu beziehen, ist eine Chance und sollte nicht als zusätzliche Last gesehen werden.
Bewährt hat sich der Einsatz von sog. “Schlüssel-Nutzern” (key users). Das ist eine überschaubare Gruppe von Mitarbeitern, die möglichst aus allen Fachabteilungen kommen, die eine gewisse EDV-Affinität bereits mitbringen und die jeweils sozial gut in ihre Abteilungen integriert sind. Diese Nutzergruppe kann bei der Umstellung und sogar schon während der Vorbereitungsphase als Multiplikator dienen.
Die Schlüssel-Nutzer können bei der Erstellung von Musterlösungen integriert werden. Sie transportieren Informationen zwischen IT- und Fach-Abteilungen – auch mal auf informellen Wegen. Sie gestalten das neue System mit und helfen bei kleineren Problemen vor Ort direkt in ihrem Abteilungen – und entlasten auf diese Weise die IT-Supporter.
In der Praxis wird die Einführung von Freier Software in gut kommunizierten Stufen bzw. Phasen erfolgen. Dabei ist es wichtig, dass die Vorteile der alten Technik nicht verloren gehen, sondern nach Möglichkeit gute Äquivalente gefunden werden (Makros, Ablagen, etablierte Verfahren). Erst wenn die alltäglichen Aufgaben mit dem neuen Programm funktionieren, wird ein Programm auch getauscht.
Im idealen Migrationsfall – gibts den? – gehen Informationen, Schulung, Miteinbeziehung und Umstellung Hand in Hand. Gerade in der kritischen Anfangsphase schaffen schnelle Reaktion auf technische Probleme und rasche Beseitigung von Anfangsfehlern Vertrauen in die neue freie Lösung.
Schlussbemerkung
Viele meiner Anmerkungen in diesem Artikel treffen sicher nicht nur für den Bereich der Kirchen zu, sondern betreffen generell Umstiegsszenarien. Es geht mir auch nicht darum, ein solches Szenario hier vollständig zu skizzieren, dazu fehlt mir als Theologe auch die Kompetenz.
Allerdings scheint es so, dass viele der hier unvollständig genannten Aspekte bei bereits angegangenen Migrationen auch im kirchlichen Bereich zu wenig Beachtung gefunden haben.
Beitragstitelbild von: madSec, flickr.com,
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Hallo Uli,
danke für den Artikel. Was dort nicht genannt wurde und meiner Meinung nach ein wichtiger Grund ist, warum keine Migration in der Kirche stattfindet:
Bei steigender individueller Arbeitsbelastung muss schon eine große Portion Motivation vorhanden sein, um nicht auf das gewohnt Funktionierende zurück zu greifen. “Damit soll ich mich jetzt auch noch befassen?!” ist ein Ausdruck dieses Gefühls der Überforderung. Der Computer wird als Werkzeug gesehen, den Arbeitsdruck zu bewältigen. Das passiert auf die erlernte Weise. Insofern kann es nicht wundern, dass die Microsoft-Strategie auch in unserer Kirche nach wie vor aufgeht.
Wie soll man dem begegnen? Bislang haben wir versucht uns über alle anderen wichtigen Themen hinweg Gehör zu verschaffen und die Wichtigkeit des Nachdenkens über Software auf unseren Computern deutlich zu machen. Das ist – wie ich aus eigener Erfahrung weiß – sehr mühselig und war bislang wenig erfolgreich.
Bleibt zu hoffen, dass die Evolution der Geräte uns hier auf lange Sicht hilft. Das Smartphone und das Tablet zeigt, dass der Nutzer über neue Technik auch bereit ist, sich auf andere Software ein zu lassen. Wenn Linux hier weiter punktet, wird sich auch die Software-Landschaft mit ändern. In den Kirchenbüros wird diese Entwicklung allerdings voraussichtlich als Letztes ankommen.
Hallo Peter, hallo Uli,
ein Aspekt bei dem freie Software recht leicht punkten kann ist: die Neueinführung eines Tool.
Siehe den Bericht zu OpenLP.
Klar es gibt nicht viele solcher Anwendungsfälle bei denen man mit SpezialSoftware schnell punkten kann. Aber wenn es hier gelingt und man ein gutes Tool auswählt, kann das dann als Referenz für weitere neue, oder andere Tools dienen.